Ethische Fragen bei der medikamentösen Behandlung von Kleinwuchs

18/09/2018

Podiumsdiskussion Kleinwuchsforum Hohenroda 2018

Was macht ein Wissenschaftsjournalist, bevor er ein Podium inmitten von Kleinwüchsigen moderiert? Er spricht mit Betroffenen, recherchiert Fachpublikationen, liest auch ein wenig in der Google-Universität: Auf einer offenbar älteren Webseite aus dem Jahr 2007 findet sich noch der Satz: „Kleinwuchs ist eine Wachstumsstörung, deren Ursachen nur teilweise bekannt sind. Darum sind auch Behandlungen weitgehend aussichtslos.“
Was die Achondroplasie als häufigste Form des Kleinwuchses angeht, hat sich diese Situation inzwischen geändert. Die molekularen Ursachen dieser sehr frühen Wachstumsstörung sind erforscht und molekular besser verstanden. Seltene Erkrankungen stellen zudem – anders als früher – für Pharmafirmen lukrative Märkte dar. Pro Patient erzielen pharmazeutische Unternehmen an den Behandlungskosten zugelassener Wirkstoffe bis zu 2.000.000 Euro (Mepvesii) pro Jahr. Diese Gewinnaussichten haben viele Biotechnologieunternehmen auf den Plan gerufen, die nun auch Medikamente für Kleinwüchsige zur Zulassung bringen wollen.
Bei der Achondroplasie derzeit am weitesten fortgeschritten ist dabei der biotechnologische Wirkstoff der Firma BIOMARIN, BMN 110, der den bei dieser Form von Kleinwuchs mutierten und damit biochemisch überaktiven FGF3R in den Wachstumszonen der Knochen hemmen soll. Fernziel der klinischen Studien ist es dabei, die biologisch überstürzte Knochenreife schon während der frühen Entwicklung der Körpergestalt zu beeinflussen. Letztlich soll nicht nur die Kleinwüchsigen-erreichbare Körpergröße gesteigert werden, sondern eventuell bei einer möglichst frühen Anwendung auch die Proportionalität des Knochenwachstums positiv beeinflusst werden.
Im Dezember 2016 gab BIOMARIN bekannt, den ersten Patienten in der Zulassungsstudie BMN 301 behandelt zu haben, bis Oktober 2019 sollen die Ergebnisse von 110 Kindern zwischen 5 und 18 Jahren erhoben sein. In Deutschland wurden, wie auf der Jahrestagung in Hohenroda zu erfahren war, bereits fünf Kinder in eine Messstudie (Vorstudie zur Hauptstudie) eingeschlossen. Diese Kinder sollen die Möglichkeit bekommen, nachdem die deutschen Arzneimittelbehörden und das Bundesinstitut für Strahlenschutz grünes Licht gegeben haben, noch in diese laufende Zulassungsstudie eingeschlossen zu werden. In der für Probanden und Ärzte verblindeten, klinischen Studie sollen zweidrittel der Probanden den Wirkstoff erhalten, ein Drittel einen Placebo. Hauptendpunkt der Studie soll eine Veränderung in der Wachstumsrate oder des Höhenwachstums sein (nach 1 Jahr). Zudem soll die Lebensqualität der Probanden erhoben werden, z. B. die Schlafqualität, schwere Erkrankungen oder chirurgische Eingriffe (http://beyondachondroplasia.org/blogue/wp-content/uploads/2017/12/BioMarin-ACH-clinical-development-program-Nov-2017.pdf).

Podiumsdiskussion Hohenroda 2018
Fragen aus dem Publikum

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion diskutierten in Hohenroda Experten und Betroffene, welche ethischen Fragestellungen die neuen Möglichkeiten für Kleinwüchsige, für Eltern mit kleinwüchsigen Kindern und für Ärzte stellen, die sie behandeln. Was bedeutet die Entwicklung von medikamentöser Therapie nun für kleinwüchsige Menschen? Wollen Kleinwüchsige überhaupt behandelt werden? Auf dem Podium diskutierten Dr. Johannes Correll, Facharzt für Orthopädie und langjähriges Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des BKMF: Der Verband habe erreicht, dass sich kleinwüchsige Menschen als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft fühlen und Eltern dahingehend beraten werden. Nun entstehe durch die Hoffnung auf frühe medikamentöse Behandlung die Sorge, dass Eltern, die zum ersten Mal mit Kleinwuchs konfrontiert werden, sich trotz großer Ungewissheit zu einer Behandlung gedrängt fühlen und das gewonnene Selbstverständnis der Kleinwüchsigen damit ins Wanken geraten könnte. Positiver sah das Dr. Gunnar Hiesgen, Kinderarzt, dessen 12-jähriger Sohn bereits an der Messstudie der Firma BIOMARIN teilnimmt. Er hoffe, dass durch die medikamentöse Behandlung nicht nur das Größenwachstum gesteigert werde. Die Hoffnung für künftige Generationen bestehe vor allem darin, Begleiterscheinungen, wie das enge Foramen Magnum, und schädliche Fehlstellungen des Skeletts zu verringern und damit Operationen zu vermeiden. Bernhard Mohr, Intensivkrankenpfleger und Vater einer bald 18-jährigen Tochter, berichtete, er habe seit der Geburt seines Kindes die sich abzeichnenden Möglichkeiten stets aufgeschlossen beobachtet, sich aber immer gegen eine Intervention entschiedenen. „Aber am Ende (ist er) froh, dass er für seine Tochter keine Entscheidungen mehr treffen muss, weil sie nun bereits erwachsen ist.“ Als vierter auf dem Podium saß Silvan Schwarz, der als Maschinenbauingenieur selbst kleinwüchsig ist und „dem Fortschritt in der Medizin eher gelassen“ entgegen sieht. Allerdings betonte er, dass er selbst „mit seinem Leben zufrieden“ sei. Sollten aber künftige Therapien körperliche Einschränkungen mildern können, würde er verstehen, wenn Eltern eine solche Behandlung erwägen.
In Europa kündigen sich bereits jetzt weitere Studien an, unter anderem auch solche an Kindern zwischen der Geburt und fünf Jahren, bei denen das Knochenwachstum noch besonders rasant verläuft und sich evtl. normalisieren ließe. (https://clinicaltrials.gov/ct2/results?cond=achondroplasia, https://www.aisac.it/wp-content/uploads/2018/06/Achondroplasia-Program-Update-for-Associations-and-Families-May-2018-UK-English.pdf)

Volker Stollorz, Moderator und Wissenschaftsjournalist

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